Quensel, Stephan, Birgitta Kolte & Frank Nolte (1995), Fazit. In: Peter Cohen & Arjan Sas (Eds), Cannabisbeleid in Duitsland, Frankrijk en de Verenigde Staten. Amsterdam, Centrum voor Drugsonderzoek, Universiteit van Amsterdam. pp. 62-64.
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5 Fazit

Stephan Quensel, Birgitta Kolte und Frank Nolte

Insgesamt gesehen ist die Cannabis-Situation in der Bundesrepublik Deutschland nach einer längeren Phase der Stabilisierung in den letzten Jahren wieder in Bewegung geraten. Der wachsenden Sicherheit im Umgang mit Cannabis auf Seiten der KonsumentInnen entspricht dabei vor allem in den norddeutschen Bundesländern eine zunehmende faktische Entkriminalisierung auf Seiten der Justiz, so daß wir insgesamt eine Normalisierung im Umgang mit Cannabis beobachten können, das bei etwa ein bis zwei Millionen BundesbürgerInnen heute als regelmäßig konsumierte Alltags-Droge gebraucht wird.

Der Konsum stößt - auf einem wachsenden Sockel von älteren Cannabis-Konsumenten (alte 68er) und Langzeitkonsumenten aufbauend -, auch bei Jugendlichen zunehmend auf Verständnis, ohne doch in größerem Ausmaß zu regelmäßigem Konsum zu führen (ca 4 % der Jugenlichen konsumieren regelmäßig Cannabis). An die Stelle von Angstmotiven treten dabei zunehmend Gesundheitsüberlegungen, die sehr wohl bei legalen wie illegalen Drogen zwischen `harten' und 'weichen' Drogen zu unterscheiden wissen, und bei denen zunehmend Genuß-Motive die Stelle von Problem-Lösung und Verdrängung einnehmen. Im Rahmen eines wachsenden und realistischer ausgeprägten Informationsstandes bei potentiellen und aktuellen Konsumenten wie aber auch bei Drogen-Lehrern, Drogen-Beratern und Drogen-Dezernenten schwinden dadurch einschlägige Cannabis->Probleme< bis auf geringe Reste, die ihrerseits weithin auf ihre reale Problem-Basis, etwa der Erziehungsschwierigkeit oder - noch viel seltener - einer psychotischen Prädisposition zurückgeführt werden können.

Diese Veränderung vollzieht sich zunächst unabhängig vom Justiz-Sektor, um dann auch durch diesen zumindest erleichtert zu werden. Auf Bundesebene (Bundesverfassungsgericht) wie bei den nördlichen Bundesländern läßt sich hier insgesamt eine wachsende Tendenz zur Liberalisierung feststellen, wobei hier eine Lösung der zunehmenden Kluft zwischen den nördlichen Bundesländern, die annähernd niederländisches Niveau erreicht haben, und den konservativen süddeutschen Ländern zur Zeit noch nicht abzusehen ist. Während auf polizeilicher Ebene - bei noch immer hohen Tatverdächtigen-Zahlen - im norddeutschen Raum trotz des formellen Legalitätsprinzips faktisch nach dem >Stolperprinzip< Opportunität herrscht, wird auf der Ebene der Staatsanwaltschaft mit Hilfe des § 31a BtmG faktisch der größte Teil der Konsumdelikte ohne weitere Folgen eingestellt. Zur richterlichen Verurteilung kommt es hier heute deshalb allenfalls im Kilogramm-Bereich, der vor allem auch bei den faktischen und politischen Versuchen, nach niederländischem Vorbild Coffee-Shops einzurichten, heute noch die größte Legal-Barriere bietet.

Im Windschatten dieser faktischen Liberalisierung entfalten sich zwei einander entgegengesetzte neue Bewegungen im Bereich der Verkehrspolitik wie im ökologischen Bereich, die insgesamt jedoch den Prozeß der Normalisierung weiter vorantreiben werden. Im Rahmen der Verkehrspolitik scheinen Straßenverkehrsbehörden und Verwaltungsgerichte auf dem Wege einer Kompensations-Strategie ausfüllen zu wollen, was Polizei und Strafjustiz im Drogensektor zunehmend an Lücken lassen (Kreuzer 1993: 212), wofür jüngst ein drei-monatiges Fahrverbot bei jeglichem Konsum von Cannabis vorgeschlagen wurde. Auch im Arbeitsbereich mußte jüngst das Landesarbeitsgericht Stuttgart am 19.10.1993 feststellen, daß eine Kündigung des Arbeitsverhältnisses wegen Haschisch-Konsum nicht möglich sei (Schalt 1994). Umgekehrt entwickelt sich im ökologischen Bereich von Anbau und Handel eine breite Bewegung, die die Legalisierung der Cannabis-Pflanze verlangt. Sie wird durch einschlägige Printmedien und erste medizinische Ansätze unterstützt, die eine Freigabe des Cannabis als Heilmittel verlangen (Rätsch 1992).

Die angesichts dieser >ausschleichenden Kriminalisierung< naheliegende formale Legalisierung des Cannabis-Konsums und -Handels, wie sie etwa in der Frankfurter Resolution der Conference der European Cities - Amsterdam, Frankfurt, Hamburg und Zürich - vom 22.11.1990 verlangt wurde, und wie sie vom Bundesverfassungsrichter Sommer in seinem abweichenden Votum zum Beschluß des Bundesverfassungsgerichts vom 9.3.1994 grundsätzlich befürwortet wurde, wird jedoch wegen allgemeiner gesellschaftlicher und politischer Widerstände vor allem aus dem konservativen Süden Deutschlands noch längere Zeit auf sich warten lassen. Ein subtiles, stufenweises Vorgehen im Wechselspiel von Drogenpolitik, Drogenjustiz und Drogenarbeit wird in absehbarer Zukunft jedoch weitere Schritte in Richtung Entkriminalisierung und letztlich legislativer verwaltungs- und ordnungs-rechtlicher Regulierung bringen.

Während die Bundesregierung in der gegenwärtigen Zusammensetzung sich weiterhin abwartend verhalten wird, scheinen Versuche auf der Länder-Ebene, weitere Liberalisierungsschritte zu gehen, aussichtsreich, und zwar sowohl hinsichtlich der Konsumbedingungen für Cannabis wie auch im Bereich des konsumbezogenen Kleinhandels und insbesondere bei der Möglichkeit einer eigenen Hanfkultivierung. Symbolische Bedeutung kommt dabei auch den aktuellen Bemühungen um eine rechtliche Ermöglichung des Nutzhanf-Anbaus und der Zulassung von Cannabis als Heilmittel zu. Beides scheint in absehbarer Zeit erreichbar, weil hier ökonomische und medizinische Interessen sich bereits organisiert haben, und der gesellschaftliche und politische Widerstand erkennbar geringer geworden ist. Auf längere Sicht werden auch reine Konsumenten-Organisationen in der politischen Auseinandersetzung Bedeutung gewinnen.

Ein besonderes Gewicht für die bundesdeutsche Diskussion besitzt dabei nach wie vor die Situation in den Niederlanden, deren praktisches Beispiel und deren zwanzigjährige Erfahrungen in der Cannabis-Politik (Baan-Kommission) vor allem in den benachbarten Bundesländern erheblich zur Normalisierung beitragen konnten - und zwar nicht nur im Cannabis-Bereich, sondern auch, im engen Zusammenhang damit, im gesamten Feld der Drogenpolitik. Dabei werden - je nach politischer Ausrichtung - diese Erfahrungen unterschiedlich wahrgenommen; doch besitzt diese Praxis als anschaulich überzeugendes Beispiel realisierter Liberalisierung in der bundesdeutschen Diskussion ein erhebliches Gewicht. Die Niederlande übernahmen dabei auf der einen Seite beim Methadon wie beim Cannabis als >Lieferanten< die Rolle des Lückenbüßers für eine allzu rigide bundesdeutsche Drogenpolitik, was viele Konsumenten vor den Gefahren dieser Politik bewahrte. Auf der anderen Seite wird die Antwort auf die gegenwärtige Diskussion um die Coffee-Shops - angeblich inflationäre Entwicklung, unzureichende Kontrolle, nicht-gelungene Trennung der Märkte wie aber auch die Liberalisierung der Belieferung im Kilogramm-Bereich - auch für die bundesdeutsche Diskussion nicht ohne Folgen bleiben, wofür etwa die von der Konferenz der Bundesgesundheitsminister an Schleswig-Holstein gerichtete Prüfungsfrage nach der Möglichkeit eines geregelten Cannabis-Angebots nach dem Modell der niederländischen Coffee-Shops einen guten Beleg bietet.

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