Quensel, Stephan, Birgitta Kolte & Frank Nolte (1995), Rezente Entwicklungen im Bereich der Cannabis-Politik. In: Peter Cohen & Arjan Sas (Eds), Cannabisbeleid in Duitsland, Frankrijk en de Verenigde Staten. Amsterdam, Centrum voor Drugsonderzoek, Universiteit van Amsterdam. pp. 53-61.
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4 Rezente Entwicklungen im Bereich der Cannabis-Politik

Stephan Quensel, Birgitta Kolte und Frank Nolte

Diese gleichzeitig im Konsumbereich, bei der Jugendhilfe wie auch im Kriminaljustiz-System zu beobachtende >Entwarnung< bzw. Normalisierung des Cannabis-Konsums, die mit einer gewissen Verzögerung auch in der Öffentlichkeit, bei den Medien und Politikern festzustellen ist, hat nun in jüngster Zeit bundesweit auf sehr unterschiedlichen Ebenen Bemühungen ausgelöst, die Cannabis-Politik von der restlichen Drogenpolitik abzukoppeln bzw. exakter, die allgemein für den Drogen-Konsum-Bereich zu beobachtende >Wende< in der Drogenpolitik im Cannabis-Bereich verstärkt fortzuführen.

1  Die Rechtssprechung

1. Die Mengen-Festlegung erwies sich dabei als primäre Einfalls-Pforte, und zwar in der nachfolgend dargestellten zweifachen Weise. Das BtMG unterscheidet zwischen drei verschiedenen >Mengen<, ohne diese jedoch mengenmäßig festzulegen; und zwar (1.) die >geringe Menge<, bei der schon die Staatsanwaltschaft einstellen kann, (2.) die nicht näher benannte >normale Menge< und (3.) die >nicht geringe Menge<, die - je nach Paragraphen - mit einer Mindeststrafe von einem, zwei oder fünf Jahren bedroht ist, wobei Freiheitsstrafen, die zwei Jahre übersteigen, nicht mehr zur Bewährung ausgesetzt werden können.

1.1 Für die Masse der Konsumenten ist dabei die Festlegung der Obergrenze der geringen Menge (§§ 29 Abs. 5, 31a) entscheidend. Das BVerfG hat die auf Initiative von Hamburg 1992 eingeführte Vorschrift des § 31a als wichtigstes Korrektiv des ansonsten zwischen den illegalen Drogen nicht weiter unterscheidenden BtMG angesehen und die Bundesländer unter Druck gesetzt, hier, um der Rechtseinheit willen, einheitliche Richtlinien vorzusehen. Es hat damit den ohnehin eingeschliffenen Rechtszustand salomonisch festgeschrieben, ohne jedoch von sich aus für diese Mengen einen Rahmen vorzugeben. (vgl. Gutachten Böllinger im Anhang).

Die bisherige Länderpraxis schwankte bei dieser Festlegung der geringen Menge für den Normalfall unter Erwachsenen zwischen 30 Gramm in Schleswig-Holstein und Hessen, einer Streichholzschachtel voll in Hamburg, 10 Gramm auch bei wiederholtem Verstoß in Bremen und sehr geringen Mengen in den süd- und ostdeutschen Bundesländern, weshalb letztere sich auch in besonderem Maße gegen die vom BVerfG verlangte einheitliche Regelung wehrten.

Offensichtlich sind die Länder unter dem Druck der vom Bundesverfassungsgericht festgelegten Frist zur Zeit bereit, sich auf einen Kompromiß derart zu einigen, daß 6 Gramm als absolute Untergrenze gelten sollen, unterhalb deren auf jeden Fall einzustellen ist, während es im übrigen den einzelnen Bundesländern überlassen bleibt, jeweils für ihren Bereich höhere Grenzen festzulegen. Inwieweit dies letztlich vor dem BVerfG standhalten wird, wenn z.B. ein hessischer Konsument mit 29 Gramm Cannabis im benachbarten Bayern erwischt wird, bleibt abzuwarten.

Faktisch bietet diese Regel auch innerhalb eines Bundeslandes keineswegs volle Rechtssicherheit; so wird die 30-Gramm-Grenze etwa im hessischen Frankfurt voll ausgeschöpft, während einzelne Staatsanwaltschaften im benachbart-ländlichen Bereich auch bisher schon die 6-Gramm-Grenze anwandten, und umgekehrt in besonderen Ausnahmefällen (z.B. gut integrierter Schüler, der seine Cannabis-Phase schon längere Zeit hinter sich gelassen hat) auch einmal bei 50 Gramm eingestellt wird.

Eine erste Übersicht in Schleswig-Holstein zeigt, daß die dort geltende 30-Gramm-Grenze weder das Ausmaß von Konsum und Handel noch gar die Höhe der jeweils mitgeführten Dosis (>lauter 30-Gramm-Mengen<) beeinflußt hat.

Wegen der genannten Rechtsunsicherheit gibt es zur Zeit eine schwache Tendenz, im BtMG bzw. der Anlage I - bzw. besser in der großzügigeren Anlage III der >verkehrsfähigen Betäubungsmittel< - eine feste Grenze einzusetzen, gegen die sich freilich die dadurch in ihrem Ermessen beschränkte Staatsanwaltschaft entschieden wehrt. Bei weiterhin fehlender Einigung der Bundesländer wird die Bundesregierung möglicherweise gezwungen sein, in dieser Richtung tätig zu werden.

1.2 Im oberen Bereich der nicht-geringen Menge möchte ein weiteres Urteil des Landgerichts Lübeck (H. Schneider) vom 1.9.1994 den Verbrechenstatbestand erst bei 200 Gramm THC, das sind 4 kg Cannabis, ansetzen. Das Urteil wurde am 26.4.95 vom Oberlandesgericht Schleswig insofern praktisch bestätigt, als dieses Gericht die Entscheidung dem Bundesgerichtshof (BGH) vorgelegt hat, weil es von dessen ständiger Rechtsprechung abweichen will, doch hat dessen 4. Senat am 3.2.95 (Strafverteidiger 1995: 255) bereits signalisiert, daß er von der bisherigen Grenze von 7,5 Gramm THC (Ca. 100 Gramm Cannabis) nicht abweichen will.

1.3 Zwei weitere richterliche Ansätze versuchen, diese relativ starre Grenze bei der nicht-geringen Menge zu unterlaufen. Und zwar hat der Große Senat des BGH in seiner Entscheidung am 3.5.1994 (NJW 1994: 1663) das bisher gültige Prinzip des Fortsetzungszusammenhanges aufgehoben, und dann der 5. Senat des BGH in einer anschließenden Entscheidung vom 20.6.94 (Strafverteidiger 1994: 479) auch für den Cannabis-Bereich entschieden, daß man nicht mehr gleichsam automatisch sämtliche bei einem Täter festgestellten (bzw. zugegebenen) Teilmengen zusammenzählen kann, was bisher fast immer in den Verbrechensbereich hineinführte. Heute wird deshalb üblicherweise für jede Tat ein neuer Tatentschluß unterstellt: >>Eigentlich wollte ich Schluß machen, aber dann ließ ich mich erneut verführen<<.

Einen zweiten, weniger offiziellen Weg bietet der Rekurs auf die >Kronzeugenregelung< des § 31 BtMG mit der Möglichkeit, den Verbrechensrahmen zu unterschreiten und eine Strafaussetzung zur Bewährung zu ermöglichen: >>Hat sich ernsthaft bemüht, mit der Polizei zusammenzuarbeiten<<.

2  Gesetzesanträge

Neben diesem richterlichen Weg versuchten zwei - bisher gescheiterte bzw. nicht realisierte - Gesetzesinitiativen durch die Bundesländer über den Bundesrat eine entsprechende Lockerung zu erreichen.

2.1 In unmittelbarer Reaktion auf das Urteil des Landgerichts Lübeck vom 17.12.1991 beantragte das Bundesland Hessen auf der Grundlage der Ergebnisse einer Expertenkommission des hessischen Justizministeriums (Albrecht 1992a: 38f) beim Bundesrat, >>daß der Umgang mit Cannabisprodukten straflos gestellt und einem Bundesmonopol übertragen wird. Der Umgang mit Betäubungsmitteln außerhalb der erlaubten Abgabe bzw. des Monopols bleibt strafbar<< (Drucksache 582/92 des Bundesrates in Materialien V, 22).

2.2 Auch im Bundesland Niedersachsen empfahl eine Kommission des Justizministeriums zur Reform des Strafrechts einen anderen Umgang mit illegalen Drogen, was aber zu keiner parlamentarischen Initiative führte (vgl. Albrecht 1992 b: 44 f.).

2.3 Mit Antrag vom 20.1.1993 beantragte schließlich das Bundesland Rheinland-Pfalz beim Bundesrat, den Umgang mit kleineren Mengen - 20 Gramm Haschisch, 100 Gramm Marihuana - nur als Ordnungswidrigkeit mit einer Geldbuße bis zu DM 5.000,-- zu behandeln, bei der die Verwaltungsbehörden nach eigenem Ermessen zuständig wären (Drucksache 58/93 des Bundesrats in Materialien V, 17). Hier wird wohl mit Recht befürchtet, daß dies angesichts der bisher praktizierten § 31a-Regel eher zu einer Ausweitung der Sanktionierung im Bagatellbereich führen könnte.

3  Initiative der Bundesgesundheitsminister

Schließlich beauftragte die Konferenz der Gesundheitsminister und Gesundheitssenatoren am 17/18.11 1994 in einer >Initiative zur Trennung der Märkte weicher und harter Drogen< mit nur einer Gegenstimme des Bundeslandes Bayern das Land Schleswig-Holstein - dessen Gesundheitsministerin Heide Moser öffentlich die Einführung von Coffee-Shops nach niederländischem Vorbild gefordert hatte - >>unverzüglich die tatsächlichen und rechtlichen Voraussetzungen für die Möglichkeiten von einzelnen Projekten, Maßnahmen oder Modellversuchen beim regelnden Eingriff in den illegalen Cannabismarkt zu prüfen. Dabei ist eine sorgfältige Analyse der in europäischen Nachbarstaaten gemachten Erfahrungen erforderlich<< (Materialien V, 33). Schleswig-Holstein hat hierfür eine hochrangige Kommission zusammengestellt, an der auch Vertreter aus Hamburg teilnehmen. Als entscheidendes Problem gilt auch hier das der >Hintertür<, also die Frage, inwieweit die Belieferung der Coffee-Shops sichergestellt werden kann, da hier das geltende Legalitätsprinzip hohe Barrieren aufwerfen wird. Diese Kommission hat zuletzt am 29.5.95 getagt. Sie überlegt, ob es gegenwärtig sinnvoller wäre, nach niederländischem Vorbild eine eigene >Cannabis-Anlage IV< oder eher einen indirekten Weg vorzuschlagen. (vgl. aus polizeilicher Sicht: Koriath 1995).

Bisher gibt es - bei ansonsten ohnehin sehr leicht zugänglichem Cannabis, sei es in verdeckter, oder wie etwa in Frankfurt in weithin offener Scene - insbesondere in Hamburg ständig neue Versuche, solche Coffee-Shops einzurichten, die bei Unauffälligkeit polizeilich weithin geduldet werden (>>Wir schnüffeln doch nicht jedem Laden hinterher<<), die gelegentlich geschlossen werden, und die jüngst auch zur - insgesamt sechsmaligen - Verhaftung und anschließender Aufhebung der Untersuchungshaft von Rigo Maaß geführt haben.

4  Die Entziehung der Fahrerlaubnis

Ein eigenes, besorgniserregendes Kapitel bieten schließlich die Versuche, entdeckten Cannabis-Konsumenten auf dem Verwaltungsweg den Führerschein zu entziehen bzw. dem Fahrer eine aufwendige Blut- bzw. Haar-Analyse mit anschließender medizinisch-psychologischer Untersuchung (MPU) aufzuerlegen, bei der u.a. der allgemeine Gesundheitszustand, die psychische Verfassung, zurückliegende Krankheiten, Krankheiten in der Familie, Lebensumstände erfragt werden (vgl Soiegel Nr.19,1995:196).

Allgemeine Grundlage in diesem Bereich ist das Gutachten >>Krankheit und Kraftverkehr<< (1992) des Gemeinsamen Beirats für Verkehrsmedizin der Bundesminister für Verkehr und Gesundheit. Das Gutachten befindet denjenigen als ungeeignet, ein Kraftfahrzeug zu führen, der entweder a) >>abhängig<< ist oder b) >>regelmäßig Stoffe ... zu sich nimmt, die entweder durch ihre lange Wirkungsdauer oder durch intervallären Wirkungsablauf die körperlich-geistige Leistungsfähigkeit eines Kraftfahrers ständig unter das erforderliche Maß herabsetzen<< (S. 23). Cannabis wird explizit als abhängigkeitserzeugend (im Sinne von a) genannt; zudem wird - bezogen auf eine >>intervalläre<< Wirkung - auf die Gefahr eines >>flash-backs<< hingewiesen. Ist die Abhängigkeit oder der Dauerkonsum erwiesen, so kann dem Betroffenen die Fahrerlaubnis - entweder auf dem Wege des Strafverfahrens (§ 69 StGB)oder auf dem Verwaltungsweg (§ 4, Abs. 1 StVG) - entzogen werden.

4.1 Da die zunehmende faktische Entkriminalisierung bei den Gerichten nur noch selten zu einer strafrechtlichen Entziehung der Fahrerlaubnis anläßlich einer Verurteilung führt, gewinnt der Verwaltungsweg an Bedeutung. Hier wird das oben genannte Bundesgutachten in den einzelnen Behörden relativ beliebig zitiert. Während die einen auf die körperliche bzw. geistige Nichteignung abheben, betonen andere die >charakterliche Ungeeignetheit<.

Im ersteren Fall wiederum argumentieren die einen mit der Gefahr des >>flash-backs<<(Fischer 1991; Täschner 1994), während die anderen auf die akute Drogenwirkung nach dem Konsum hinweisen und die Existenz eines >>flash-back<<-Phänomens verneinen. Für beide Positionen gilt, daß es Schwierigkeiten dahingehend gibt, Cannabiskonsumenten im Straßenverkehr ausfindig zu machen sowie die konkreten Folgen eines Konsums nachzuweisen bzw. feste Grenzwerte zu fixieren (wie z.B. die 0,8-Promille-Grenze beim Alkohol). Hinzu kommt, daß das Bundesverfassungsgericht am 24.6.1993 (NZV 93: 413) entschied, daß der einmalige Gebrauch von Cannabis nicht die Anordnung einer >>medizinisch-psychologischen Untersuchung (MPU)<< rechtfertige, und daß die Weigerung, dieser Anordnung nachzukommen, nicht zum Entzug der Fahrerlaubnis führen dürfe.

Den zweiten Weg der >charakterlichen Ungeeignetheit< möchte das Bundesland Nordrhein-Westfalen (NRW) gehen. Als Reaktion auf das BVerfG-Urteil argumentiert das dortige Verkehrsministerium in seiner Verfügung vom 25.3.1994 nicht mehr mit der akuten Gefährdung durch die Drogenwirkung, sondern mit charakterlichen Defiziten der Konsumenten illegaler Drogen (>Wer verbotene Drogen nimmt, macht auch andere verbotene Dinge<). Aus dem dauerhaften Konsum von Cannabis ergebe sich die Erkenntnis einer >kriminellen Neigung< des Konsumenten, die prophylaktisch zum Entzug der Fahrlaubnis führen soll.

In diesem Zusammenhang sollen in einem aufwendigen Forschungsvorhaben (DM 500.000,--) Methoden für den Nachweis eines gewohnheitsmäßigen Gebrauchs durch Messung der Höhe der >>nicht-wirksamen Metaboliten<< (THC-COOH im Blutserum) entwickelt werden. Der 3. Zwischenbericht dieses Projektes, das vom Institut für Rechtsmedizin in Düsseldorf (Prof. Daldrup) durchgeführt wird, besagt, daß bei 177 untersuchten Blutproben verkehrsauffälliger Kraftfahrer nur bei 19% reiner Cannabis-Konsum vorlag. In einer Untersuchung im Saarland waren es sogar nur 2 Fälle von 660 in denen ausschließlich Cannabis konsumiert wurde (vgl. Möller 1994: 28 f.). Sehr viel häufiger dagegen lag - in beiden Untersuchungen - Mischkonsum mit anderen Drogen vor. So wurde - bei der NRW-Untersuchung - in 66% der Fälle auch Cannabis und in 37% auch Alkohol nachgewiesen. Dieses Ergebnis ist aus epidemiologischer Sicht stark anzuzweifeln; so kommt Möller in seiner Untersuchung zu einem Ergebnis von 96,2% Fällen in denen auch Alkohol und 13,1% in denen auch Drogen und Medikamente nachgewiesen wurden (vgl. Möller 1994: 3). Die stark unterschiedlichen Zahlen könnten vor allem durch eine mögliche Selektion in der nordrhein-westfälischen Untersuchung seitens der Blutproben-liefernden Polizei zustande kommen - leider gibt der Forschungsbericht darüber keine Auskunft (vgl. zu diesen methodischen Schwierigkeiten Kreuzer 1993: 210).

Die Ergebnisse der in jedem Fall von den betroffenen Führerscheinbesitzern zu bezahlenden Blutuntersuchungen sollen bei hohen Metabolitenmengen den sofortigen Entzug der Fahrerlaubnis nach sich ziehen oder, bei unklaren Ergebnissen, die Anordnung einer MPU rechtfertigen. Eine Einstellung des Verfahrens wegen eines >nicht dauerhaften Konsums<, der durch besonders niedrige Metaboliten-Mengen angezeigt werden soll, wird eher die Ausnahme bleiben.

4.2 Auf der Ebene der Verkehrspolizei gibt es ebenfalls Unterschiede für den Nachweis von Cannabis im Straßenverkehr. Während in NRW Blutuntersuchungen - im Rahmen des o.g. Forschungsvorhabens - vorgenommen werden, wird in Bremen seit Dezember 1994 mit einem Urin-Meßgerät der Firma Merck (>>Triage<<) gearbeitet, das einen qualitativen Nachweis darüber erbringt, ob und welche Drogen konsumiert werden; fällt dieser Test positiv aus, schließt sich daran eine drogenspezifisch ausgerichtete Blutuntersuchung an. In Hamburg hingegen gibt es keine Cannabis-spezifische Vorgehensweise.

Insgesamt kommt es nur in seltenen Einzelfällen zur Entziehung der Fahrerlaubnis wegen des dauerhaften Konsums bzw. der >>Abhängigkeit von Cannabisprodukten<< - dies gilt sowohl für den StGB-Bereich (Führerschein-Entzug bei entsprechend strafrechtlichen Verstößen) als auch für den Verwaltungsbereich. In Bremen war lediglich ein einziger Fall bekannt, in dem allein Cannabis die Ursache für den Verlust der Fahrerlaubnis war - bei immerhin jährlich 250 Fahrverboten wegen Drogenkonsums. Dies beschreibt eine Situation, die auch für Hamburg und Nordrhein-Westfalen zutrifft.

4.3 Das Bundesland Bayern hat deswegen in einem Antrag vom 6.5.1994 (Drucksache 420/94) an den Bundesrat vorgeschlagen, >>daß der Gesetzgeber ein absolutes Verbot für das Fahren unter dem Einfluß illegaler Drogen ausspricht und eine Verletzung dieses Verbots mit Strafe und Bußgeld bedroht. Im Bewußtsein der Bürgerinnen und Bürger wird dadurch zugleich verdeutlicht, welch hohes Gefahrenpotential ein solches Verhalten in sich birgt<<. Hiergegen hat das Bundesland Schleswig-Holstein zunächst allein und sodann zusammen mit dem Bundesland Hessen am 5. und 7.7.1994 (Drucksache 420/2, 3/94) geltend gemacht, daß wegen der unterschiedlichen Nachweis- und Wirkungsdauer zunächst >>die Auswirkungen von Betäubungsmitteln im Sinne des BtMG sowie von legalen Drogen wie Psychopharmaka und sonstigen Medikamenten zu erforschen (seien). Zu klären ist, wie diese Substanzen einerseits jeweils gesondert, andererseits in der Wechselwirkung untereinander und in Kombination mit Alkohol schädlich auf die Sicherheit des Straßenverkehrs einwirken. Zugleich sind Bemühungen energisch voranzutreiben, für die Praxis der Polizei geeignete Schnellnachweisverfahren zu entwickeln. Der Bundesrat bekräftigt jedoch seine Auffassung, daß... das Maß der nicht mehr zu tolerierenden alkoholischen Beeinflussung von 0,8 auf 0,5 Promille gesenkt werden soll<<. Daraufhin wurde diese Initiative zunächst auf Eis gelegt.

Aus den Rundfunk-Nachrichten vom 28.5.95 ist zu entnehmen, daß nunmehr der Bundesverkehrsminister im Gegenzug seinerseits erwägt, bei allen Rauschgift-Fällen unter Einschluß von Cannabis unabhängig von einem bestimmten Grenzwert statt des Führerschein-Entzugs ersatzweise ein Fahrverbot von drei Monaten einzuführen. Eine solche Regelung ließe den Charakter einer punitiven Alternative für die im Konsumbereich um sich greifende Entkriminalisierung besonders deutlich werden, da im Cannabis-Bereich mit seiner mehrtägigen Nachweisbarkeit nicht sicher von einer akuten, schon gar nicht von einer mehrtägig anhaltenden Verkehrsbeeinträchtigung ausgegangen werden kann (vgl. in diesem Zusammenhang eine Studie der Universität Maastricht; Robbe 1994).

5  Die ökologische Hanf-Diskussion

Eine umgekehrt wirkende Sonderentwicklung prägt schließlich die jüngste Diskussion: Die Frage des Hanf-Anbaus für ökologische Zwecke mitsamt der damit verbundenen Ausweitung des bis in die jüngste Vergangenheit in der Bundesrepublik noch recht seltenen einschlägigen Hanf-Handels, sowie die Frage der medizinischen Verwendbarkeit von Cannabis.

5.1 Ein Schwerpunkt der Diskussion bildet die Hanffasernutzung, wobei landwirtschaftliche und ökologische Themen dominieren. Man möchte sich dabei vom illegalisierten Drogengebrauch abgrenzen, wie dies etwa im Verhältnis der 1994 in Berlin gegründeten Hanf-Gesellschaft zu stärker Drogen-interessierten Bewegungen - wie z.B. zu der in Steinhagen residierenden >Cannabis-Legal< - zu beobachten ist. Landwirtschaftliche Interessen an den hierfür bereitstehenden EU-Subsidien sowie >bio-orientierte< wirtschaftliche Interessen im Papier- und Kleidungsbereich spielen dabei eine gewisse Rolle.

Das Bundesgesundheitsministerium hat in den ersten Maiwochen 1995 auf Anregung des Landwirtschaftsministeriums insoweit prinzipielle Zustimmung erkennen lassen. Im Juli 1995 soll eine Expertenrunde im Hause Seehofer die Modalitäten festlegen, nach denen künftig auch in Deutschland bestimmte THC-arme Hanfsorten angebaut werden können (Bröckers 1995; Spiegel Nr.20, 1995:126f). Bei bisher wildwachsenden Cannabis-Pflanzen im Bundesland Brandenburg wurden Werte von 0,1 - 1,5 THC festgestellt (Rauschgiftbericht 1993:105).

5.2 Auch der Handel mit hanfbezogenen Produkten - Hanffaser-Produkte, Paraphernalia, Saatgut - scheint sich in letzter Zeit lebhaft zu entwickeln. Während der Handel mit Hanffaser-Produkten und Paraphernalia in der Bundesrepublik nicht eingeschränkt ist, wird - ungeachtet des Anbauverbots - auch der Handel mit Saatgut selbst mit Sorten, die ausdrücklich auf THC-Reichtum gezüchtet sind sowie mit den entsprechenden Anbau-Utensilien weithin geduldet, solange davor gewarnt wird, ohne Genehmigung anzubauen.

6  Die Hanf-Medien

Schließlich mag auch der diese Entwicklung begleitende Markt der Printmedien ein Indiz für diese voranschreitende Normalisierung bieten. Neben Sonderausgaben etwa des Hamburger Stadtmagazins Nr.3/95, in dem sich HamburgerInnen mit Passphoto dazu bekennen, Cannabis geraucht zu haben, dem Hanf-Spezial der Tageszeitung taz aus dem Frühjahr 1995 mit zahlreichen Hanf-Inseraten oder dem Cannabis-Reader Nr.5 des Juso-Dachverbandes (Dez. 1994) zur >Kultur des Anbaus, der Herstellung, des Gebrauchs und der Verwendung von Cannabis< gibt es mehrere, zum Teil recht auflagenstarke Spezialpublikationen, wie den BTM-Kurier, der demnächst auch auf englisch erscheinen will, seit 1989, das Hanfforum seit 1992, das Hanfblatt seit 1994, die jüngst seit März 1995 durch zwei weitere Zeitschriften - Grow mit einer Auflage von 60.000 und HANF! mit einer Auflage von 88.000 - ergänzt werden.

7  Cannabis-Forschung

Der Forschungs-Stand ist insgesamt eher dürftig (Konegen 1992). Neben den erwähnten Forschungen zum Metaboliten-Nachweis, der Umfrage in Südwestdeutschland und der Schweiz sowie den beiden erwähnten Interview-Studien zum Langzeit-Konsum existiert in neuerer Zeit bisher nur eine seit Ende 1992 vom Bundesministerium für Gesundheit geförderte größere quantitative Umfrage-Studie Kleiber-Soellner-Tossman, - >Determinanten unterschiedlicher Gebrauchsmuster von Cannabis< - die auf eine eher traditionell-psychologisch ausgerichtete Weise per Fragebogen die Einstellungen von Cannabiskonsumenten und Abstinenten erfaßt, während eine qualitativ-lebensweltbezogene Studie über die >Bedingungen und Auswirkungen eines sozial integrierten Cannabisgebrauchs (Haves/Schneider) im Rahmen eines einschlägigen 200-Millionen-Drogenforschungsprogramms des Bundesministers für Technologie und Forschung 1993 keine Gnade fand. Eine gemeinsame Studie zwischen Amsterdam, San Francisco und dem BISDRO-Bremen über Carreers and Consequences of Marijuana Use in different legal and cultural Contexts ist zur Zeit in Planung.

Alle drei Forschungsvorhaben betonen aus sozialwissenschaftlicher Sicht die bisher einseitig auf schädliche Auswirkungen ausgerichtete, pharmakologisch-medizinisch orientierte Forschung. So beklagen Tossman u.a. (1993:47), daß sich bisher >>Aussagen über Cannabis-Konsum ... zumeist auf klinische, d.h. psychiatrisch auffällig gewordene und dadurch leichter zugängliche Stichproben beziehen.. Cannabiskonsummuster werden dabei lediglich durch Angaben über die Quantität des konsumierten Stoffes sowie über die Konsumfrequenz operationalisiert. Eine weitere klassifizierende Variable stellt allenfalls das Einstiegsalter dar. Vergleichsweise wenige Untersuchungen erheben zusätzliche konsumbezogene Kontextvariable<<. Und Wolfgang Schneider (1995:72f) wollte anstelle der rein statistischen Ebene der >Problem<-Betrachtung und >drogenfixierten Blickrichtung< im Rahmen bislang weithin fehlender qualitativer Forschung >>die Erfassung des Interaktionsgeflechtes zwischen dem Individuum, seiner konkreten Lebenspraxis und den gesellschaftlichen Einflüssen (Einstellungen und Werthaltungen gegenüber Drogen, Illegalisierung, formelle und informelle Regelungen)<< untersuchen.

In diesem Sinne wird es künftig unter drogenpolitisch relevanten Forschungsaspekten wohl vor allem auch darauf ankommen, zu untersuchen, welche Bedingungen einen integrierten, genußorientierten Konsum ermöglichen (Haves 1994:54), und unter welchen Umständen solche Konsum-Muster entarten können (Tossmann 1993:148).

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