Quensel, Stephan, Birgitta Kolte & Frank Nolte (1995), Zur allgemeinen Situation der Drogenpolitik in der Bundesrepublik Deutschland. In: Peter Cohen & Arjan Sas (Eds), Cannabisbeleid in Duitsland, Frankrijk en de Verenigde Staten. Amsterdam, Centrum voor Drugsonderzoek, Universiteit van Amsterdam. pp. 20-23.
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1 Zur allgemeinen Situation der Drogenpolitik in der Bundesrepublik Deutschland

Stephan Quensel, Birgitta Kolte und Frank Nolte

1  Geringe Ansätze für eine einheitliche Drogenpolitik

1. Es ist recht schwierig, von einer einheitlichen Drogenpolitik der BRD zu sprechen, und zwar aus zwei Gründen:

1.1 Die offizielle Cannabispolitik in der BRD ist Teil der allgemeinen Drogenpolitik. Im Betäubungsmittelgesetz (BtMG) wie in den die Betäubungsmittel aufzählenden >Anlagen I - III< wird Cannabis nicht von den sog. harten Drogen unterschieden; Cannabis gehört in Anlage I zusammen mit Heroin zu den >nicht-verkehrsfähigen< Betäubungsmitteln. Außer den kriminalpolizeilichen Statistiken unterscheiden dementsprechend alle übergeordneten Statistiken des Kriminaljustiz-Systems (Staatsanwaltschaft, Verurteilung, Bewährungshilfe, Strafvollzug) nicht zwischen den einzelnen Drogenarten.

Auch die allgemeine Drogen-Diskussion in Alltag, Medien und Politik, wie weithin auch in der Wissenschaft, hat lange Zeit undifferenziert von >illegalen< Drogen, Rauschgift, Drogensucht u.ä. gesprochen, wobei zudem im Jahrzehnt zwischen 1982 und 1992 das Cannabis-Thema nahezu aus der Diskussion verschwunden war.

In diesem Sinne ist - insbesondere nach der 1993 erfolgten Ratifizierung der Wiener Convention - Grundlage für die Arbeit der Bundesregierung im Bereich der Drogenpolitik noch immer der bereits 1990 verabschiedete >Nationale Rauschgiftbekämpfungsplan<, in dem zwischen den Drogen nicht differenziert wird, und in dem einerseits die Reduzierung der Nachfrage nach illegalen Drogen, andererseits die Einschränkung des Angebots als Ziele festgelegt sind. >>Die vollständige Abstinenz gegenüber illegalen Drogen<< steht dabei im Vordergrund (Lintner 1993).

1.2 Gewichtiger noch ist die Tatsache, daß die bundesdeutsche Drogenpolitik nur zu einem geringen Teil bundeseinheitlich ausgestaltet ist.

(1) So bietet das BtMG zwar einen bundeseinheitlichen Rahmen, der auch durch die Rechtsprechung der Bundesgerichte - Bundesverfassungsgericht (BVerfG), Bundesgerichtshof (BGH) und Bundesverwaltungsgericht -, zusammengehalten wird, und der durch die Arbeit des Bundeskriminalamtes, der Bundeszentrale für die gesundheitliche Aufklärung (BzgA), der Bundesopiumstelle sowie diverser intermediärer Organisationen wie der Deutschen Hauptstelle gegen die Suchtgefahren (DHS), der Wohlfahrtsverbände und bundesweiten Vereine einschlägig ergänzt und abgestützt wird.

(2) Entsprechend dem föderalen Prinzip ist die Realisierung dieser Politik weithin Sache der Bundesländer, die ihrerseits auf dem sozialen Sektor dem Prinzip kommunaler Selbständigkeit folgen. Hier lassen sich erhebliche Unterschiede feststellen. So stehen den hier näher untersuchten, drogenpolitisch relativ liberalen norddeutschen Bundesländern auf der einen Seite die beiden eher konservativ ausgerichteten (CDU/CSU-regierten) süddeutschen Länder, Baden-Württemberg und Bayern, und auf der anderen Seite die vom illegalen Drogenkonsum bisher sehr wenig betroffenen ostdeutschen Neuen Bundesländer (NBL) gegenüber. Diese Unterschiede zeigen sich besonders deutlich im unten näher dargestellten Bereich der polizeilichen Kriminalstatistik wie in dem damit zusammenhängenden Streit um die vom Bundesverfassungsgericht verlangte einheitliche Festlegung der Höhe der >geringen Menge<, bei der die Staatsanwaltschaft Konsum-Delikte grundsätzlich einstellen soll. Während die SPD-regierten Länder hier grundsätzlich von 10 bis 30 Gramm Cannabis ausgehen wollen, möchten es die beiden anderen Länder-Blöcke eher bei ein bis zwei Konsumeinheiten (ca. 1 bis 6 Gramm) belassen.

(3) Auch das Kriminal-Justiz-System folgt weithin landesspezifischen Usancen mit relativ hoher Selbständigkeit, die ihrerseits durch in sich geschlossene Gerichts- und Staatsanwalts->Kulturen< weiterhin differenziert werden. So lassen sich etwa in Nordrhein-Westfalen neben grenznah liberalen Landgerichtsbezirken direkt benachbarte >repressivere< Bezirke unterscheiden, ebenso wie allgemein großzügigere großstädtische Staatsanwaltschaften sich deutlich von Staatsanwaltschaften aus ländlichen Bereichen abheben.

Diese drogenpolitische Vielfalt gilt für sämtliche Bereiche der Drogenpolitik. Sie läßt sich sehr gut an der Art und Weise der in den letzten Jahren durchgesetzten Methadon-Vergabe beobachten. Sie prägt auch Art und Realität der Cannabis-Politik, wofür wir unten neben der kriminalpolizeilichen Entwicklung die beiden rezenten Beispiele der Neuinterpretation des BtMG auf gerichtlicher Ebene und im Bereich der föderalen Gesetzes-Initiativen näher ansprechen werden.

2  Allgemeine Entwicklung der Drogenpolitik

2. Will man gleichwohl die Entwicklung der Drogenpolitik in den letzten Jahren ihrer generellen Tendenz nach beschreiben, dann lassen sich vier allgemeine Trends festhalten, die bisher auch für die Cannabis-Politik zutreffen.

2.1 Die bundesoffizielle Politik verfolgt noch immer die traditionelle Richtung des >more of the same< mit deutlich repressivem Charakter. Dies gilt vor allem für den Bereich der sogenannten >organisierten Kriminalität<, die einerseits durch verschärfte Strafen (z.B. ยง 30a BtMG), andererseits durch weitere Einschränkungen rechtsstaatlicher Garantien (z.B. Gesetz zur Bekämpfung des illegalen Rauschgift-Handels und anderer Erscheinungsformen der Organisierten Kriminalität v. 15.7.1992) bekämpft werden soll. Diese Politik bleibt faktisch weithin ohne größeren Erfolg gegenüber den sog. >Hintermännern<, könnte jedoch wegen der jeweils recht hohen Mindeststrafen im Bereich der Kilogramm-Mengen die ausgesprochenen Freiheitsstrafen weiterhin erhöhen (was jedoch zur Zeit wegen einer Umstellung der Verurteilungsstatistiken - zuletzt 1991 - nicht direkt zu belegen ist).

2.2 In der breiten Öffentlichkeit, bei Politikern, Medien, einem nicht geringen Teil der Experten und insbesondere bei den Eltern dominieren noch immer die traditionellen, angstbesetzten Drogenmythen, die etwa Cannabis als Einstiegsdroge sehen, wegen des >>flash-back<< den Führerschein entziehen, und mit deren Hilfe man bei einer Entkriminalisierung den Dealer auf dem Schulhof oder eine Ausweitung der Mafia auf bisher unberührte Problemgebiete befürchtet. Dementsprechend ist die Einstellung der Bevölkerung gegenüber einer Entkriminalisierung bisher eher zurückhaltend (s.u. III, 1).

2.3 Die konkrete Praxis der Drogenpolitik, die fast auschließlich die niedrige, >nicht-organisierte< Ebene des Konsums und Klein-Dealens betrifft, ist vor allem in den norddeutschen Bundesländern in nahezu allen Dimensionen in Aufweichung begriffen. Dies reicht von der Bundesebene - Beschluß des BVerfG zur >geringen Menge< und der Öffnung des BtMG zur Methadon-Verschreibung bzw. der jüngst geäußerten Bereitschaft des sonst sehr zurückhaltend argumentierenden Bundesdrogen-Beauftragten Lintner, Einwegspritzen für Häftlinge zuzulassen (Interview im Spiegel 16/1995: 72), - über die fast sprunghafte Entwicklung der akzeptierenden, niedrigschwelligen oder suchtbegleitenden Angebote bis hinein in die unten näher dargestellte, geänderte Praxis des Kriminaljustiz-Systems bei der Verfolgung der Drogen-Konsumenten.

2.4. Auf der Ebene der Konsumenten geht man schließlich heute allgemein davon aus, daß bei den sogenannten harten Drogen neben den erheblich verelendeten, polytoxikoman gewordenen, polizeiauffälligen Junkies i.w.S. mit einer breiten Palette von Gelegenheitskonsumenten, die sozial mehr oder weniger voll integriert sind, zu rechnen ist, während bei den weichen Drogen, insbesondere bei Cannabis und zunehmend auch bei Ecstasy, die als sozial eingebunden gelten, kaum mit nennenswerten Problemen gerechnet wird.

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